„Was? Morgen ist schon der Geburtstag?”
Vor drei Wochen flatterte die Einladung zum Kindergeburtstag ins Haus, kurz drauf wurde über ein passendes Geschenk beraten und dieses besorgt.
Seitdem ist der Termin – zumindest seitens des Kindes – aus den Augen verloren.
Groß sind Freude und Überraschung, wenn es dann plötzlich so weit ist und die drei Wochen so unerwartet schnell schon herum sind!
Überhaupt, wenn man mal so drüber nachdenkt: Wie schön muss es doch sein, als kleines Kind – ganz ohne Uhr und Kalender – so frei von minutiöser Planung und sich ständig wieder füllender „To-do-Liste” leben zu können?
Wenn kleine Kinder eine Einladung bekommen, freuen sie sich gleich mehrmals: Wenn die Einladung überreicht wird, dann am Vortag der Feier bei der Erinnerung an die Einladung und in Vorfreude auf die Feier und natürlich dann, wenn es endlich los geht.
Als Elternteil zwischen Kind(ern), Haushalt und Beruf bedeutet jede Einladung natürlich primär auch Freude, wirft aber auch Fragen auf:
„Haben wir da überhaupt Zeit?”
„Wann besorge ich bloß das Geschenk?”
„Wer passt abends auf die Kinder auf?”
„Ist das Wochenende nicht eigentlich sowieso schon voll mit Terminen?”
Keine Frage: Nicht nur Erwachsene, auch Kinder haben jede Menge zu tun und einen vollen Zeitplan:
Jeden Tag mehrere Stunden Kindergarten, später Schule, nachmittags Hobbys, Verabredungen, Verwandtenbesuche und gelegentlich Termine aller Art.
Dennoch haben sie (hoffentlich) weniger Stress, weil sie nicht alles Noch-zu-Erledigende ständig vor Augen haben (müssen).
Wenn man drüber nachdenkt, entsteht Stress ja oft nicht durch das, was konkret an einem Tag zu erledigen ist, sondern durch den mahnenden, vollen Kalender an der Wand:
Heute Elternabend, morgen der Termin beim Zahnarzt, übermorgen die Verabredung mit der besten Freundin, am Wochenende noch zu einer Hochzeit eingeladen, dazu tagtäglich die Termine der Kinder – von Sportverein über Kinderchor bis Schwimm- und Gitarrenunterricht.
Beim Blick auf die mannigfaltigen Termine beschleicht einen dabei schnell das ungute Gefühl, dass gar keine freie Zeit mehr für gelegentliches süßes Nichtstun und für sich selbst bleibt, weil ständig irgendetwas ansteht.
Die übrige Zeit zwischen den Terminen füllt sich dann ganz schnell und ganz von allein mit Haushalt und Garten, Hausaufgaben-Kontrolle und „Mal-eben-Erledigungen” und wenn tatsächlich mal ein Stündchen übrig bleiben sollte, in dem gar nichts zu tun wäre, geht man unwillkürlich die lange To-do-Liste der nächsten Zeit durch anstatt die Füße hochzulegen und einfach mal an etwas schönes zu denken.
Betrachtet man zum Vergleich kleine Kinder, könnte man glatt ein wenig neidisch werden:
Ein schöner Termin steht an?
Vorfreude ist bei kleinen Kindern natürlich generell vorhanden – irgendwann werden schließlich wieder Weihnachten, Ostern und der eigene Geburtstag sein – aber mangels Kalender und exakter Vorstellung von Zeit ohne den konkreten Gedanken „Och, noch sooo lange bis zum nächsten Wochenende/Urlaub/Geburtstag”, der das Warten erschwert.
Viele, viele Jahre später scheint oft das Verhältnis nicht mehr zu stimmen:
Monatelange hat man sich auf die zwei Wochen Urlaub gefreut, die dann so rasend schnell vergangen sind.
Danach fehlt einem im wieder eingekehrten Alltagstrott manchmal genau diese vorfreudige Urlaubsstimmung und man neigt dazu, die Gedanken wieder zu etwas Schönem in der Zukunft schweifen zu lassen anstatt bewusst das Hier und Heute mit all seinen schönen Kleinigkeiten zu genießen.
Werden die Kinder größer, wächst mit ihnen ihr Gespür für die Zeit. Die plötzlich ganz schön lang werden kann, wenn man auf etwas warten muss!
Wer erinnert sich nicht an die gefühlten ewig langen 24 Tage bis zum Heiligabend?
Oder an die scheinbar nicht enden wollenden Autofahrten in den Urlaub?
Nicht, weil sie wirklich so lang waren – bei schönen Dingen würde man dieselbe Zeit als viel zu kurz empfinden – sondern weil man nur das Ziel („Noch 4 ½ Stunden, bis wir da sind”) vor Augen hat und Warten immer irgendwie blöd ist.
Vertane Zeit dank des sich einschleichenden Gedankens, dass man diese Zeit woanders „natürlich”/vermeintlich besser nutzen könnte.
Ganz anders kleine Kinder: Sie spielen, schaffen, lachen in den Tag hinein, bis etwas Neues auf dem Programm steht. Langeweile? Ein Fremdwort.
Holt man sie von der Spielgruppe ab, schaut man in fröhliche Gesichter: „Mama ist schon wieder da!”
Wunderschön muss es es sein, wenn man jeden Tag aufs Neue so unzählige, freudige, kleine Überraschungen erleben darf!
Und schade, dass das später nicht mehr funktioniert. Wer steht schon am Bahnsteig und ist wirklich überrascht und glücklich, wenn der Zug auf einmal um die Ecke kommt?
In der Regel wird man – wie immer zu früh da gewesen – schon 10 Minuten mit gelangweiltem Blick auf die Uhr dort gestanden haben, sich vielleicht gefragt haben, warum auf Bahnhöfen die Zeit scheinbar besonders langsam vergeht und wann der Zug denn nun endlich kommt.
Etwas weniger Schönes steht ins Haus?
Bevor das Kind sich tage- oder wochenlang wegen einer anstehenden Blutabnahme o. ä. verrückt macht, ist es oft besser, wenn es erst kurz zuvor davon erfährt und die Zeit bis dahin unbeschwert verleben kann.
Man selbst hingegen weiß als Erwachsener immer genau, wann unangenehme Termine einen erwarten und „Einfach nicht dran denken, bis es soweit ist”, funktioniert nicht wirklich.
Gelegenheiten nutzen, wie sie fallen
Etwas noch in Seelenruhe erledigen, wenn man kurz darauf aus dem Haus muss?
An einem freien Abend zehn Minuten lang entspannt am angefangenen Pullover weiter zu stricken gelingt irgendwie besser als mit dem Wissen „In 10 Minuten müssen wir los!”.
Häufige Folge: „Das lohnt sich jetzt nicht mehr” – ein Gedanke, mit dem Kinder sich selten beschäftigen.
Warum nicht noch anfangen, das Puzzle zusammenzusetzen oder die Eisenbahn aufzubauen?
Der Termin ist irgendwann gleich, die freie Zeit jetzt, also wird sie bestmöglich gefüllt.
Anfangen, unterbrochen werden und dann halt später weiter machen? Kein Problem!
Ein Leben ohne Uhr und Kalender?
Und wenn man es ändern könnte? Ein Leben ohne Uhr, ohne Kalender – würde man das wollen? Und würde es funktionieren? Beides vermutlich „nein”.
Auf Termine kann man sich schließlich (meist) verlassen, sie bilden einen Rahmen im Leben, der irgendwie Sicherheit gibt:
Wissen, was morgen ist, wann es Zeit ist, bestimmte Dinge zu tun, das Gefühl haben, dass sie Zeit sinnvoll und effektiv genutzt wird und gefeit vor Überraschungen sein.
Nicht auf morgen schauen müssen und glücklich in den Tag hinein zu leben – es sei allen Kindern von Herzen gegönnt und das für eine möglichst lange und unbeschwerte Zeit.