Lesegenuss vom Feinsten: „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ von Andreas Steinhöfel

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„Rico, Oskar und die Tieferschatten“ ist so ein Buch, bei dem man sich als Leser von der ersten Zeile an mitten im Geschehen wieder findet und dessen Hauptdarsteller man sofort ins Herz schließt.
Ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand legen kann bis man weiß, wie es ausgeht, und bei dem man es kaum erwarten kann, die Fortsetzung auf zu blättern, um neu gewonnene „Freunde“ im Folge-Roman wieder zu treffen.

Wie der Titel vermuten lässt, sind es in diesem Fall zwei Jungen, um die sich alles dreht. Zwei Jungen, die sich kennenlernen und am Ende gar zu Titelhelden im wahrsten Sinne des Wortes werden: Rico – klein und „tiefbegabt“, wie er selbst unumwunden eingesteht – und Oskar – winzig und hochbegabt.

Dass die frische Freundschaft zwischen den beiden ungleichen Kindern Ausgangspunkt für spannende wie interessante Gespräche und gemeinsame Erlebnisse ist, versteht sich fast von selbst.
Tatsächlich erleben die beiden aber viel mehr als nur einen Einblick in das Denken und Fühlen des jeweils anderen zu bekommen.

Zum Inhalt
Der kleine Rico lebt in einer Umgebung, die man gut und gerne als trist bezeichnen kann: Das Geld ist knapp, das Wohnumfeld der Großstadt eher bescheiden. Zum Glück gibt es die alleinerziehende Mutter, die sich liebevoll um ihren Jungen kümmert, ihm Selbstvertrauen mit auf den Weg gibt und ihm geduldig die oftmals gar nicht so leicht zu durchschauende Welt erklärt.
Leider aber nicht so oft wie sie es vielleicht gern tun würde, denn um den Lebensunterhalt zu sichern, muss sie so viel in ihrem Club arbeiten, dass Rico in den Abendstunden und tagsüber, wenn seine Mutter zum Schlafen endlich einmal kommt, oft auf sich allein gestellt ist.

Dafür sind die meisten Nachbarn im Haus ihm wohlgesonnen, lassen Rico hin und wieder einen Blick in die für ihn überaus interessanten, fremden Wohnungen werfen und eine Nachbarin versorgt ihn beim gemeinsamen Fernsehen gar rührend mit belegten Broten.
Was Rico aber fehlt: ein Freund. Unverhofft kommt oft – in diesem Fall in Gestalt des kleinen Oskar.
Was Rico anfangs nicht ahnen kann: dieser winzige Junge wird ihn in ein Abenteuer verwickeln, das Ricos Ferienaufsatz zu einem echten Krimi werden lässt… .

Was die anderen Mieter im Mehrfamilienhaus damit zu tun haben, was es mit den geheimnisvollen Schatten im einsturzgefährdeten Hinterhaus auf sich hat und welche Rolle ein gesuchter Kindesentführer dabei spielt, wird hier natürlich nicht verraten… .

Rico sei zwar kein Experte in Sachen Rechtschreibung, aber ein guter Erzähler, findet sein Lehrer im Förderzentrum und gibt ihm eine Spezial-Aufgabe über die Ferien auf: Schafft Rico es, einen recht umfangreichen Aufsatz über seine Ferienerlebnisse abzuliefern, winkt ihm Hausaufgabenfrei an anderen Schultagen.
Rico beginnt zu schreiben – und lässt den Leser damit an seine Erlebnissen und Erkenntnissen über dies und jenes teilhaben.

Schnell wird klar: Rico mag „tiefbegabt“ sein, aber nicht allzu unglücklich darüber.
Er arrangiert sich mit den Gegebenheiten, ganz nüchtern, ohne sich selbst zu bemitleiden.
Er weiß um die Tatsache, dass es in seinem Kopf oft so drunter und drüber geht, dass ihm das Denken schwer fällt und nur sehr langsam gelingt, dass Orientierung für ihn ein großes Problem ist und er deswegen besser in der Nähe seiner Hauses bleiben sollte usw.
Und weil Rico scheinbar weder Mitleid braucht noch will und die Dinge auf seine ganz eigene humorvolle Art beim Namen nennt, wird man als Leser nicht in Versuchung gebracht, allzu sentimental zu werden oder gar in mitleidiges Seufzen zu verfallen.

Rico betrachtet seine kleine Welt eben mit seinen Augen, die alles aufregender, bunter und weit weniger langweilig erscheinen lassen als man es im beschriebenen Ambiente vermuten würde.
Und was Rico nicht weiß oder so ganz versteht, füllt er auf unschlagbare Art und Weise eben mit Phantasie aus und erklärt sich selbst die Dinge.
Oft gelingt es ihm dabei nicht, sich in der komplizierten Welt der Erwachsenen, mit denen er in der Geschichte hauptsächlich zu tun hat, zurecht zu finden. Aber da er die Fettnäpfchen, in die er tritt, selbst gar nicht bemerkt, ist es auch nicht weiter schlimm.

Mitleid möchte man da schon eher mit dem hochbegabten Oskar bekommen, der zum einen ebenfalls recht einsam in ärmlichen Verhältnissen aufwächst, zum anderen aber auch noch um seine Situation weiß und auch darum, was ihm alles auf den Straßen der Großstadt so passieren könnte. Oskar ist gar so von Ängsten geplagt, dass er stets mit einem Sturzhelm auf dem Kopf unterwegs ist.

Beim ersten Zusammentreffen der beiden Jungs fliegen zunächst einmal die Fetzen, letzten Endes ist es aber ein Segen, dass ausgerechnet diese beiden Freundschaft schließen, denn die zwei ergänzen sich perfekt wie zwei Puzzleteile.
Was dem einen fehlt, bringt der andere mit, und trotz der unterschiedlich gestrickten Charaktere, ist den beiden viel mehr gemein als sie selbst vielleicht vermutet hätten: zum Beispiel, dass sie beide zu viel größeren und mutigeren Taten fähig sind, als sie beide von sich selber dachten.

„Rico, Oskar und die Tieferschatten“ ist wunderbar lebensnah geschrieben und bildhaft erzählt; man sieht die beiden Jungen, die Nachbarn, die Umgebung und die Ereignisse beim Lesen förmlich vor sich als würde man einen Film anschauen.
Die wenigen, aber aussagekräftigen Illustrationen von Peter Schössow leisten das ihre dazu: man bekommt ein Bild der Protagonisten, kann es aber der eigenen Fantasie überlassen, den Rest der Geschichte vor dem inneren Auge lebendig werden zu lassen.

Mit der Erzählung ist dem Autor Andreas Steinhöfel eine fantastische Gratwanderung gelungen: Einerseits ist die Geschichte so witzig und humorvoll und gleichzeitig so spannend, dass sie nie ins unangenehm Sentimentale abgleitet, dass sie langweilig zu werden droht oder man den erhobenen Zeigefinger zu spüren bekommt.
Gleichzeitig werden die Themen Hochbegabung und geistige Behinderung aber immer mit dem nötigen Ernst und Feingefühl behandelt und die beiden Hauptdarsteller Rico und Oskar bekommen trotz des manchmal derben bis sarkastischen Humors nie einen Beigeschmack von Lächerlichkeit.

Man fiebert einfach mit den Jungen mit, spürt förmlich, wie es sich für Rico anfühlt, wenn er den wie-auch-immer-farbigen Faden verliert, seine Gedanken durcheinander purzeln oder gar verloren zu gehen drohen.
Ob er gerade traurig ist oder sich freut, Angst hat oder vor Mut strotzt: jedes Auf und Ab, jede Emotion kann man ihm nachfühlen und das macht das Buch zu einem besonderen, packenden Lesegenuss.
Gespickt mit unglaublich lustigen Wortschöpfungen und manchmal oberflächlich witzigen, dabei aber sehr geistreichen, tiefgründigen Umschreibungen der Dinge ist es schlichtweg ein Hochgenuss.

Einfach empfehlenswert ist der liebevolle Roman „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ für alle Kinder, ob Junge der Mädchen ab 10 Jahren aufwärts, denn ob Krimi-Freund, Fan humorvoller Romane oder Liebhaber tiefgründiger Geschichten: hier kommt jeder auf seine Kosten.
Die Altersempfehlung sollte in diesem Fall als Mindestalter verstanden werden. Nach oben kennt das Buch keine Altersgrenze, für unter Zehnjährige ist es aber vielleicht einfach noch zu schwierig zu verstehen.

Zuletzt noch zu erwähnen: Besonders schön am Buch ist auch sein mit rund 220 Seiten ansehnlicher Umfang. Ein Kinderbuch, ein Kinderkrimi gar, an dem man mehrere Abende Lesefreude hat – wenn man es denn schafft, sich diesen tollen Roman einzuteilen anstatt ihn auf einmal zu verschlingen.

Alle, die Rico, Oskar und Co. bereits ins Herz geschlossen haben oder sich nun mit ihnen in ihr erstes Abenteuer „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ begeben wollen, können sich auf zwei Fortsetzungen freuen, ebenfalls aus dem Carlsen-Verlag.
Bereits erschienen ist „Rico, Oskar und das Herzgebreche“; im Oktober 2011 soll „Rico, Oskar und der Diebstahlstein“ folgen.
Alle Titel sind sowohl als Taschenbuch wie auch in gebundener Ausgabe wie auch als Hörbuch auf CD erhältlich.

Ein Hochgenuss für Kinder ab etwa 10 Jahren, aber in jedem Fall auch für Erwachsene: „Rico, Oskar und die Tieferschatten“ ist erhältlich als Taschenbuch aus dem Carlsen-Verlag (ISBN 978-3551310293, 6,95 €) sowie als gebundene Ausgabe (ebenfalls Carlsen-Verlag, 12,90 €, ISBN 978-3551555519) sowie auch als Hörbuch und Hörspiel.

Mehr zum Buch auf der Seite des Carlsen-Verlags: „Rico, Oskar und die Tieferschatten“

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